Der Wagner-Clan: Eine Familiengeschichte

Der Wagner-Clan - eine Familiengeschichte

Drehbuch: Kai Hafemeister

Venedig 1883: In einem Palazzo klammert sich Cosima Wagner (Iris Berben) an den Leichnam ihres Mannes Richard (Justus von Dohnányi). Unfähig, den Tod des Genies zu akzeptieren, schwört sie ihre Kinder auf ihre “heilige Pflicht” ein: Isolde, Eva und Siegfried sollen ihr Leben ganz in den Dienst der Bewahrung von Wagners Werk stellen, um dem “Meister” zur Unsterblichkeit zu verhelfen. Die Zukunft von Bayreuth steht auf dem Spiel.

Zwar gelingt es Cosima, sich gegen den Willen der mächtigen Wagnerianer als neue Festspielleiterin durchzusetzen. Doch damit die Festspiele in Familienhand bleiben, muss eines der Kinder ihre Nachfolge antreten – und weitere Nachkommen in die Welt setzen. Wagner-Sohn Siegfried (Lars Eidinger), der heimlich den wunderschönen Dorian (Vladimir Burlakov) liebt, konkurriert mit seiner begabteren älteren Schwester Isolde (Petra Schmidt-Schaller). Ihren Verehrer Chamberlain (Heino Ferch), einen engen Vertrauten Cosimas, hat die schöne Isolde an ihre unscheinbare Schwester Eva (Eva Löbau) abgetreten. Gemeinsam mit dem ambitionierten jungen Dirigenten Franz Beidler (Felix Klare) träumt sie davon, Bayreuth zu erneuern. Doch dann gelingt es dem intriganten Chamberlain, den Konflikt um die Erbfolge auf die Spitze zu treiben – mit dramatischen Konsequenzen.

Quelle: ZDF

AT/DE · 2013 · Laufzeit 108 Minuten · FSK 12 · Historienfilm, Drama

Drehbuch: Kai Hafemeister
Regie: Christiane Balthasar
Bildgestaltung: Hannes Hubach
Produktion: MOOVIE – the art of entertainment
Sender: ZDF

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SPIEGEL ONLINE

ZDF-Film „Der Wagner Clan“Große deutsche Oper

Vom Groupie zur Bewahrerin: In der ZDF-Produktion „Der Wagner Clan“ glänzt Iris Berben als traditionsbewusste Matriarchin Cosima Wagner. Das Drama über die verhängnisvolle Aura des deutschesten aller Komponisten berührt wie selten ein anderes.

ARNO FRANK

Es ist eine furiose Ouvertüre wie vom Meister selbst. Da kreist über dem nächtlich erleuchteten Venedig des Jahres 1883 wie ein allmächtiger Erzähler die Kamera, schwenkt über den Markusplatz ein, fliegt flach über dem Wasser unter Brücken hindurch über die Kanäle, schwingt sich wieder auf und fährt endlich durch ein offenes Fenster in eine Wohnung, in der drei Kinder herumtollen, bis ein Schrei das Spiel unterbricht, der aus dem Zimmer des Hausherrn dringt. Zaghaft betreten die Kinder das Sterbezimmer Richard Wagners. Hingegossen über seinen leblosen Körper ist Cosima Wagner, flüsternd: „Du darfst nicht sterben, du bist nicht tot.“

Gleich wird sie Eva, Isolde und Richard ins Gebet nehmen: „Euer Leben soll Richard Wagner gehören. Nur wenn ihr entsagt, kann er unsterblich werden.“ Und dazu reiten die Walküren.

Keine zwölf Minuten vergehen, und der komplette Plot ist im Grunde bereits angelegt. Wie die gestrenge Cosima Wagner danach trachtet, das Erbe ihres Mannes anzunehmen und zu überhöhen, sich mit einem gefälschten Testament gegen die Wagnerianer durchsetzt und auch auf Kosten ihrer Kinder eine künstlerische Dynastie durchsetzt.

Viel mehr als ein Kostümfilm

Wer könnte nach dem Tode Richard Wagners die Festspiele leiten? Nur Richard Wagner selbst, verkörpert durch seine Witwe und seine Kinder. „Der Wagner-Clan“, der am Sonntag im ZDF läuft, erzählt nicht nur packend davon, wie jedes einzelne Mitglied dieser Familie unter dem Gewicht des Erbes zugrunde geht. Der Film kehrt sogar, wie es sich für ein wahres Epos gehört, nach 108 Minuten und einem halben Jahrhundert wieder an seinen Anfang zurück, in jenes Zimmer im venezianischen Palazzo, um den Bogen der Erzählung mit einer verblüffenden erzählerischen Pointe zu schließen.

Nun sind Leben und Werk Richard Wagners ebenso wie das Nachleben seiner Sippschaft ausreichend durchleuchtet. Nicht um historische Akkuratesse ging es Produzent Oliver Berben („Das Adlon“), Drehbuchautor Kai Hafemeister („George“) und der bisher nur als Krimi-Regisseurin aufgefallenen Christiane Balthasar. Vielmehr wird die Geschichte um Intrigen, Ruhm, Eifersucht, Liebe und Hass „frei“, aber „nach wahren Begebenheiten“ erzählt. Das ist gut.

Zwar gäbe es genug Stoff für ein deutsches „Downton Abbey“, die Beschränkung auf eine abendfüllende Familiensaga ergibt aber durchaus Sinn. Vor allem, weil Kameramann Hannes Hubach immer wieder wuchtige Tableaus einfängt: wie über der um den toten Wagner lagernden Familie endlich die Sonne aufgeht, wie Cosima aus dem Bühnenboden in Bayreuth einer dunklen Göttin gleich emporfährt, wie grün der Hügel leuchtet. Es ist sogar, mit dem Schluckauf der Eva Wagner, Platz für einen dezenten Running Gag.

Dass „Der Wagner-Clan“, eine Kooperation von ZDF und ORF, mehr als ein Kostümfilm, nämlich überhaupt kein Kostümfilm ist, liegt nicht zuletzt an der Besetzung. Iris Berben war schon Bertha Krupp und Bethsy Buddenbrook, nun ist sie eine beeindruckende Cosima Wagner. Ein ehemaliges Groupie des Überkomponisten, die nun als traditionsbewusste Matriarchin mit verhärmtem Zug um den Mund die Zügel in die Hand nimmt.

Deutsche Tragödie diskret im Hintergrund

Das Geheimnis hinter dem fanatischen und selbstzerstörerischen PR-Eifer, mit dem sie die kunstreligiöse Apotheose ihres Gatten betreibt, bleibt bis zum Ende ein Rätsel und in der Schwebe. Und als ihr der künftige Schwiegersohn Franz Beidler die Hand küsst, erklärt sie: „So ein Handkuss ist wirklich eine törichte Tradition, aber er ist eine Tradition. Und die Familie Wagner lebt, nein: Wir sind die Tradition.“

Es glänzt der bis zur Unkenntlichkeit wandlungsfähige Heino Ferch in der Rolle des antisemitischen Intriganten Houston Chamberlain, der sich wie ein böser Geist in die Familie schleicht. Daneben beeindrucken Petra Schmidt-Schaller als verblühende Isolde und vor allem Lars Eidinger als Siegfried Wagner, den Cosima zum Festspielleiter und Erben seines Vaters erkoren hat.

Breiten Raum nimmt Siegfrieds homosexuelles Erwachen ein, das bewusst hart am Rande zum Edelkitsch inszeniert ist, weil es, zumindest für eine glückliche Weile, den einzigen möglichen Fluchtpunkt aus dem Wahnsystem des Clans darstellt – bis ihn Cosima mit seinem Gespielen im Liebesnest überrascht und sehenden Auges verfügt: „Hier ist niemand, hier ist nichts“, weil eben nichts sein darf. Wie aber die Mutter den aufbegehrenden Sohn wieder einfängt, ihm sein Leben sanft aus der Hand nimmt und ihn einspinnt in Familienräson und Tradition, das ist die eigentliche Tragödie in dieser Geschichte.

Ohne die Musik, leider nur sparsam eingesetzt als atmosphärische Ergänzung zum eigentlichen Soundtrack, könnten die hier ausgebreiteten Schicksale sich in jedem anderen mittelständischen Unternehmen auch abgespielt haben. Nur um Wagner als spirituellem Schirmherr alles Deutschen aber ist diese verhängnisvoll weihevolle Aura, die seine Familie noch nach Jahrzehnten so anziehend gemacht hat für alle, denen an dieser Aura gelegen war. Dieser Aspekt ist es, der aus diesem großen Film großes Kino macht, fast schon große Oper. Zwar bleiben Judenfeindlichkeit und weihevolle Deutschtümelei von unerschütterlicher Allgegenwärtigkeit, von Wilhelm bis Weimar. Und doch entfaltet sich die speziell deutsche Tragödie über weite Strecken eher diskret im Hintergrund.

Als die Karte dann endlich ausgespielt wird, sticht sie auf eine so tödliche Weise, wie in deutschen Fernsehproduktionen nur sehr selten etwas berührt. Während Siegfried, zum Gespenst erloschen, in seinem längst zum Museum erstarrten Heim am Tisch sitzt, übt seine eifrige Gattin Winifred Wagner im Flur mit den Kindern den Hitlergruß. Da klingelt es an der Tür, hinter der Milchglasscheibe erkennen wir eine schemenhafte Gestalt in brauner Uniform, und die Kamera zoomt auf das glücklich beseelte Gesicht von Winifred: „Onkel Wolf ist da!“

DER TAGESSPIEGEL

„Der Wagner-Clan. Eine Familiengeschichte“ im ZDFAlles andere als ein Musikfilm

Im Geist von Visconti – das ZDF macht aus dem Wagner-Clan ein Schauspielerfest mit einem prachtvollen Bilderreigen.

JÖRG SEEWALD

Die Fans von Richard Wagner werden leichtes Spiel haben. Sie werden den ZDF-Film „Der Wagner-Clan“ als „Machwerk“ verdammen, weil die 110 Minuten mehr über die persönlichen Abgründe, die Grausamkeit von Wagners Frau Cosima und die schwächliche Natur von Wagners homosexuellem Sohn Siegfried erzählen als über die Magie der Musik. Was sie trotzdem sehen, ist ein filmischer Leckerbissen, eine Produktion, die in ihrer lasziven Opulenz ihresgleichen sucht, einfach weil sich hier eine Elite der deutschen Schauspieler versammelt hat, um unter der Regie der eher namenlosen Regisseurin Christine Balthasar zu glänzen. „Ein wildes Stück“ nennt ZDF-Filmchef Reinhold Elschot halb stolz, halb entschuldigend den „Clan“.

Dabei beginnt der Film denkbar unvorteilhaft. Mithilfe der inflationär eingesetzten Computeranimationen zoomt die Kamera in einen venezianischen Palast von 1883, in dem Richard Wagner (Justus von Dohnanyi) zu den Klavier-Klängen von Liszt seine letzten Atemzüge tut. Seine Frau Cosima (Iris Berben) ruft die Kinder zusammen und nimmt ihnen ein heiliges Gelübde ab, dass sich alle dem Vermächtnis des Vaters unterzuordnen haben. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Denn mit dem Schwur als Unterpfand wird Cosima immer wieder in das Leben ihrer drei Kinder eingreifen und dafür sorgen, dass keines glücklich wird. Dass sie sich auch bis zu ihrer pilcheresken Sterbeszene selbst verleugnet, macht die selbstsüchtige Erziehung der Kinder auch nicht besser. Balthasar erzählt die Geschichte dieses Clans nicht chronologisch. Eher assoziativ reiht sie einen prachtvoll ausgestatteten Bilderreigen aneinander, der den Charakter von Eva (Eva Löbau), Isolde (Petra Schmidt-Schaller) und Siegfried Wagner (Lars Eidinger) erschließt.

Egal welche Tochter, Hauptsache Wagner

Natürlich geht es um die Deutungshoheit von Wagners Erbe, das Cosima mit einem gefälschten Testament für sich reklamiert und in Folge genau beobachtet, welcher Sprössling in Zukunft das Zeug zum Erbverwalter haben mag. Sie merkt, dass der schwärmerische Siegfried eher zu weich ist, aber verstößt zunächst die rebellische Isolde, die sich mit dem nicht standesgemäßen Dirigenten Franz Beidler (Felix Klare) einlässt. „Wir Wagners sind eine große Familie. Da sind Aristokraten standesgemäß“, lautet ihre pragmatische Begründung. Später wird sie sich wieder mithilfe des gefälschten Testaments sogar der fähigsten Tochter gerichtlich entledigen: Isolde sei gar nicht das Kind von Richard Wagner. Wie die schwindsüchtige Isolde dann ihr Leben an Krankheit und Morphium verliert, und vom Mann verlassen einsam in München stirbt, das allein wäre schon den Film wert. Aber da ist ja noch Heino Ferch, der die Chance wahrnimmt, ganz neue Facetten zu offenbaren als Houston Chamberlain, einem Brieffreund Cosimas, der, als er bei Isolde nicht landen kann, eben die andere Wagnertochter Eva ehelicht – Hauptsache Mitglied bei den Wagners.

Auch dieser katzbuckelnde, aber doch zuweilen liebenswerte Untertan in der Charakterstudie Heino Ferchs ist das Hinschauen wert. Und dabei hat man noch gar nicht von der Leistung Lars Eidingers gesprochen, der den schwulen Siegfried niemals verrät und ihm tadziohafte Züge verleiht wie in Luchino Viscontis Film „Tod in Venedig“. Die Liebesszenen mit Vladimir Burlakov, der Siegfrieds große Liebe spielt, sind von jener Unschuld und Schwülstigkeit, die jederzeit Gefahr laufen abzustürzen. Aber Eidinger meistert diesen Drahtseilakt bravourös. „Ich habe sogar zum Schminken ein Bild aus einem Visconti-Film mitgebracht“, sagt Eidinger, „ich hatte Visconti-Filmbilder im Kopf, als ich diesen Siegfried spielte. Gut, wenn man das auch merkt.“

Für Produzent Oliver Berben war es zunächst undenkbar gewesen, einen Wagner-Film zu drehen. Erst die Biografie des Engländers Jonathan Carr „Der Wagner-Clan“, die ihm sein Kollege Gero von Boehm in die Hand drückte, brachte ihn zum Umdenken. Drehbuchautor Kai Hafemeister begriff laut Berben schließlich die Aufgabe, „nur kein Biopic zu schreiben, sondern in einer unterhaltsameren Form. Ohne Hafemeister würde es diesen Film nicht geben“, der ausdrücklich „kein Musikfilm ist“, wie Berben betont.

Auch wenn „Onkel Adolf“ zu den Klängen von „Rienzi“ am Ende vor der Tür der Wagners steht, habe man Musik nur „punktuell“ eingesetzt und dann eben sehr stark, sagt Berben und schildert, wie der musikalische Anteil im Film dahinschmolz. „Wir hatten in den ersten Rohschnitten viel mehr Wagnermusik. Aber das hat dich fast erschlagen. Dann wirkt der Film einfach nicht mehr so.“

Wie gesagt: Kein Film für Wagner-Fans, eher eine Chance für die vielen, die wie Iris Berben Vorbehalte gegen Wagners Gedankenwelt hegen, „das eigene Halbwissen zu überdenken“. Den Wissbegierigen, die mit den historischen Ungenauigkeiten von „Der Wagner-Clan“ nicht leben können, sei der anschließende Film von Gero und Felix von Boehm ans Herz gelegt: „Der Wagner-Clan – Die Dokumentation“ beleuchtet das weitere Schicksal der Familie Wagner.