Schweigeminute

Schweigeminute

Drehbuch: Claudia Kratochvil

In der Ortschaft Hirtshafen an der Ostsee verliebt sich Christian (Jonas Nay) in seine Englischlehrerin Stella (Julia Koschitz). Die weltgewandte Frau hat einige Zeit in London verbracht und bringt etwas frischen Wind in den verschlafenen Küstenort, was den Fischersohn beeindruckt. Allerdings ist Stella deutlich älter als der 18-jährige Christian und sowieso sind romantische Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern gar nicht gern gesehen. Trotzdem geben die beiden ihrer Liebe nach. Erst ein Segelausflug bringt eine unerwartete Wendung, die Christian vor einen Scherbenhaufen seiner Gefühle stellt.

Schweigeminute von Thorsten Schmidt basiert auf dem gleichnamigen Buch von Siegfried Lenz aus dem Jahr 2008. Die Verfilmung wurde 2016 auf dem Filmfest in München gezeigt.

Quelle: https://www.moviepilot.de/movies/schweigeminute–2

DE/DK · 2016 ·Drama ·  Laufzeit 88 Minuten

Drehbuch: André Georgi, Claudia Kratochvil, Thorsten M. Schmidt nach der gleichnamigen Novelle von Siegfried Lenz
Regie: Thorsten M. Schmidt
Bildgestaltung: Hannes Hubach
Produktion: Oliver Berben, Sarah Kirkegaard, Bernd Eichinger
Sender: ZDF

Preise

Auswahl

Jupiter Award 2017 ‧ Nominierung Bester TV-Film (national) •
Metropolis 2016 ‧ Nominierung Deutscher Regiepreis

Kritiken

Auswahl

faz.net

SIEGFRIED-LENZ-FILM IM ZDF:

Wenn Zeit keine Rolle mehr spielt

HEIKE HUPERTZ

Endloser Sommer: Das ZDF zeigt mit „Schweigeminute“ eine exzellente Siegfried-Lenz-Verfilmung. Sie handelt von der verbotenen Liebe zwischen einem Schüler und seiner Lehrerin.

In der weithin bekannten späten Novelle „Schweigeminute“ von Siegfried Lenz steht Stella Petersen (Julia Koschitz), die Englischlehrerin der Oberprima, vor allem für ein von der schwarzen Romantik geschätztes Bild des Weiblichen. Undine zieht den wehrlosen Jüngling unter Wasser, ins Verderben. Melusine ist alterslos verführerisch. Zeit und das Vergehen der Zeit spielen eine Rolle nur für die prosaischen Geister, die der Vergänglichkeit mit Stoppuhr und Sekundenzeiger mechanisch nachmessen. Die Zeitspanne der Liebenden bemisst sich so nicht.

Romantik und Erotik

Der Skandal, der in der Liebesbeziehung eines achtzehnjährigen Schülers mit einer reiferen Frau liegt, ist dem Verzauberten unverständlich. Romantische Liebe und erotische Anziehung sind nicht ganz von dieser Welt, auch wenn sie Erfüllung im Hier und Jetzt suchen. Lenz spielt in „Schweigeminute“ virtuos mit dem Motiv des weiblichen Überwirklichen. Stella ist bei ihm vielleicht nur eine Liebesprojektion, vielleicht eine Personifizierung der Sehnsucht, sicher aber wirkmächtiger und lebensverändernder als alle anderen Erscheinungen, die die Veränderungen des Heranwachsenden begleiten.

Kann aus einer solchen Vorlage noch etwas anderes als Fernseh-Edelkitsch für jenes Publikum werden, das Bücher noch auf Papier liest, vor einem mit den üblichen Verdächtigen der deutschen Nachkriegsliteratur gut bestückten Regal? Im Gegensatz zu vorausgegangenen Siegfried-Lenz-Verfilmungen, wie beispielsweise „Die Flut ist pünktlich“ (2014), die elegische Schöner-Wohnen-Gediegenheit zelebrierte, wirkt die ZDF-Literaturverfilmung von „Schweigeminute“ (Buchbearbeitung André Georgi, Claudia Kratochvil und Thorsten M. Schmidt, Letzterer auch Regie) lichtdurchflutet und sommerleicht. Das Szenenbild (Jerome Latour) und die Inszenierung verorten die „Schweigeminute“ Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Julia Koschitz, als Stella wunderbar besetzt, hat in London studiert und gelebt und bringt mit knappen Röcken, kurzen Shorts und einer frechen Kurzhaarfrisur einen Hauch „Swinging Sixties“ in das Hafenstädtchen, in dem die Männer, einige sichtbar kriegsversehrt, hauptsächlich mit Steinfischen ihr Geld verdienen.

Stella ist alleinstehend, mutwillig, lebenslustig und unkonventionell. Sie lebt zwar selbstbestimmt, ist aber zurückgekehrt, um ihrem erblindenden Vater Johann (Hermann Beyer) beizustehen. Ihr sexuelles Abenteuer mit Christian in einer Fischerhütte ist nicht mehr als ein Moment der Selbstvergessenheit. Der junge Mann aber macht Pläne für die Zukunft. Jonas Nay spielt ihn als unbeirrt Entschlossenen, fast unangreifbar. Es wird getuschelt. Christians Eltern (Uwe Preuss und Nina Petri) warnen, verständnisvoll. Direktor Block (Alexander Held) nimmt den Jungen beiseite. Lehrer Kugler (Johannes Allmayer), eifersüchtig, spricht mit dem Vater. Auf dem Meer geschieht ein Unglück – das den Undine-Mythos auf den Kopf stellt.

tittelbach.tv

Fernsehfilm

„Schweigeminute“

RAINER TITTELBACH

„Schweigeminute“ nach der Novelle von Siegfried Lenz erzählt von der ersten großen Liebe und vom ganz großen Glück. Die männliche Hauptfigur lässt die aufregende Zeit zwischen der ersten Begegnung, einem tragischen Unfall und den Tagen danach noch einmal an ihrem inneren Auge vorbeiziehen. Der Film vereint das Beste der anderen sechs Lenz-Adaptionen der letzten zehn Jahre: Zeitkolorit, ein hohes Maß an narrativer Abstraktion, eine elaborierte Filmsprache, mit Julia Koschitz und Jonas Nay eine charismatische Besetzung, Raum für eigene Lesarten. Das Sujet Liebe wird in „Schweigeminute“ nicht als schöne, telegene TV-Illusion „Herzkino“-like banal präsentiert, sondern vielmehr in einen geradezu philosophischen Diskurs über das Erwachsenwerden verwandelt. Und in Sachen Zeitgeist, Mode & Stil macht Thorsten M. Schmidt und seinem Team keiner was vor. Aber auch die Spannung zwischen Erotik & Sex wird für einen Fernsehfilm beeindruckend ausgelotet.

sz.de

ZDF-Film „Schweigeminute“

Eine ungehörige Liebe

Das ZDF verfilmt die Novelle „Schweigeminute“ von Siegfried Lenz. Ein großes Fernsehereignis! Das liegt besonders an den beiden Hauptdarstellern.

BERND GRAFF

Als Marcel Reich-Ranicki im April 2008 den Vorabdruck der Novelle Schweigeminute von Siegfried Lenz in der FAZ mit einem einleitenden Artikel begleitete, mokierte er sich darüber, dass Lenz sich bisher „vor der Darstellung der handgreiflichen Seite der Liebe“ herumgedrückt habe. Der damals über 80 Jahre alte Lenz habe sich geweigert, seine Protagonisten „ins Bett zu schicken“ und das so erklärt: „Für mich hat das zu wenig Beweisqualität.“

Reich-Ranicki kommentierte: „Ich gebe zu, ich wollte meinen Augen nicht trauen. Denn ich kann mich nicht daran erinnern, je einen ähnlich verwegenen Satz über die Sexualität gelesen zu haben, einen Satz, der sich auf verblüffende und, zugegeben, imponierende Weise über die Weltliteratur hinwegsetzt.“

Die Schweigeminute reiht sich in diesem Sinne aber brav wieder in die Weltliteratur ein. Jedoch benötigt der romantische Sex, der an einem spätsommerlichen Ostseestrand stattfindet, auch hier keinerlei Beweisqualität. Denn bewiesen ist diese Liebe zwischen der Englischlehrerin Stella und dem Abiturienten Christian, ihrem Schüler, ja eigentlich schon dadurch, dass es sie überhaupt gibt. Oder etwa nicht?

Lenz siedelt die Geschichte einer fatalen Liebe in einem fiktiven Fischerdorf in den späten Sechzigerjahren an. Die ebenso kluge wie bildstarke Oliver-Berben-Produktion unter der Regie von Thorsten M. Schmidt, die das ZDF daraus gemacht hat, lässt sie noch etwa zehn Jahre früher spielen, was die gesellschaftliche Ächtung der Affäre noch bedrohlicher und das Aufbegehren des Paares gegen die Ächtung noch hilfloser macht. Ansonsten bleibt die Produktion recht texttreu.

Und so setzt auch sie ein mit eben jener Schweigeminute, zu der der Schuldirektor am Sarg der tödlich verunglückten Stella gebeten hat. Christian hatte noch versucht, seine schwerverletzte Geliebte, die bei einem Bootsunglück bewusstlos über Bord gegangen war, vor dem sicheren Ertrinken zu bewahren, doch erlag sie schließlich ihren Verletzungen. Berichtet wird also ausschließlich aus Christians rückblickender Perspektive auf den Sommer seines Lebens.

Manchmal scheitern die Menschen auch an ihrer Wahrheit

Und der Schüler, der die große Liebe verloren glaubt, beginnt während dieser Schweigeminute über das Wesen der Zeit zu reflektieren: „Wenn ein Unglück geschieht oder ein großes Glück, dann vergeht die Zeit anders als sonst. Sie rast, sie bleibt stehen, sie dehnt sich unendlich aus. Nur zurückdrehen lässt sie sich nicht.“ Allenfalls erinnern.

Julia Koschitz, die Stella, verleiht der Lehrerin eine souveräne Unnahbarkeit, ihr bleibt trotz der eigenen Verliebtheit bewusst, dass ihr Abenteuer sie in eine Situation manövriert hat, die ihr schaden kann. Und während Christian blind an die Unbedingtheit dieser Liebe glaubt, weiß die mondäne Stella doch, dass sie sich vielleicht um einen Irrtum mit ungewissem Ausgang handeln könnte. „Die Menschen können nicht anders,“, sagt Stella einmal, „sie handeln, wie sie eben handeln. Weil sie es nicht besser wissen, folgen sie ihrer Wahrheit. Manchmal scheitern sie daran.“

Koschitz spielt die Ungewissheit, die diese Figur lebt und aushalten muss, tatsächlich glaubhaft und weit über dem öffentlich-rechtlichen Versende-Niveau. Jonas Nay ist Christian in diesem Drama eines ungehörigen Paares. Er zeigt einen jungen Erwachsenen, zerrissen zwischen Überschwang, Verlangen, Nicht-Verstehen, Enttäuschung und schließlich Trauer. Nay hat jetzt schon das Zeug zum Charakterdarsteller.

 Ein intensives Drama. Und den beiden Hauptdarstellern gelingt etwas Seltenes: großes Fernsehen.