Am 11. Dezember 2014 sprengt sich während einer Theaterpremiere im französischen Kulturzentrum in Kabul ein 17 Jahre alter Selbstmordattentäter in die Luft. Manche Zuschauer klatschen – sie halten die Explosion für eine besonders realistische Inszenierung. Erst als Panik ausbricht, verstehen sie, was passiert ist. Die Dokumentation erzählt die Geschichte der Schauspieler und Musiker, die an diesem Tag auf der Bühne standen. Sie wollten mit ihrem Stück über Selbstmordanschläge ein Zeichen setzen gegen den Terror, der ihre Gesellschaft zerfrisst. Jetzt sind sie selbst vor Angst gelähmt. Jemals wieder Theater spielen? Nicht vorstellbar. Als Musiker berühmt werden? Viel zu gefährlich. Erst als der Schock der Gewalt sie ein zweites Mal trifft, entscheiden die Künstler, sich mit aller Kraft ihrer Ohnmacht entgegenzustellen. Sie radikalisieren sich künstlerisch und beginnen dadurch, ihr Trauma zu besiegen. „Kunst hat die Kraft, Leben zu retten, trotz allem, das ist die berührende Botschaft von ‚True Warriors'“, schrieb die „Hamburger Morgenpost“ nach der Kinopremiere. Einige der Künstler, die den Anschlag auf der Bühne oder im Publikum erlebt haben, fliehen nach dem Anschlag nach Europa, teils unter dramatischen Umständen. Die meisten aber bleiben in Kabul und formieren sich neu – sie kehren gemeinsam zurück auf die Bühne und ziehen aus Hochsicherheitstrakts um auf die Straße, wo sie eine riskante, exponierte Produktion organisieren: Zum ersten Mal treten sie wieder gemeinsam auf, als der Lynchmord an der jungen Studentin Farkhunda weltweit Schlagzeilen macht – mit der Reinszenierung ihres Mords setzen sie sich an die Spitze einer wütenden Protestbewegung, ungeschützt, vor Tausenden Passanten.
Drehbuch: Ronja von Wurmb-Seibel, Niklas Schenck Regie: Ronja von Wurmb-Seibel, Niklas Schenck Film Editing: Julia Drache Produktion: Brot + Zwiebel Production, Pantaleon Films Sender: ZDF, arte
Kritiken
Auswahl
sz.de
Diskussionen bis kurz vor Mitternacht
Bei einem Filmgespräch über eine Selbstmordattentats-Dokumentation herrscht im Lichtspielhaus großes Interesse
MARIUS SCHEFFELT
Seit der Neueröffnung am 27. Oktober überzeugt das Lichtspielhaus in Fürstenfeldbruck mit seinem ausgewähltem Programm die Besucher. Eine besondere Eventreihe sind die Filmgespräche, in denen Regisseure ihre Produktionen direkt im Kinosaal vorstellen, um anschließend mit den Besuchern darüber zu sprechen. Die Dokumentation „True Warriors“ war der neueste Teil dieser Veranstaltungsreihe.
Der Film zeigt eine Gruppe Schauspieler aus Kabul, die bei der Aufführung eines Theaterstücks über einen Selbstmordanschlag ein tatsächliches Attentat miterleben. Ihre Geschichte erzählen die beiden Regisseure Niklas Schenck und Ronja von Wurmb-Seibel. Sie waren, wie zwei der Schauspieler, für das Filmgespräch vor Ort. Fast 180 Gäste haben sich im renovierten Kinosaal eingefunden, darunter auch 16 geflüchtete Afghanen. Auf Initiative von Willi Dräxler, Migrationsbeauftragter der Caritas, in Kooperation mit der IG Lichtspielhaus, wurde ein Kontingent von kostenlosen Karten für interessierte Flüchtlinge bereit gestellt.
Nach dem Abspann war die Anspannung im Publikum deutlich spürbar. Es dauerte etwas, bis die Zuschauer sich dem Bann des Dokumentarfilms entziehen konnten, der zu berühren weiß, ohne zu dramatisieren und der schonungslos die Brutalität des Alltags in Kabul aufzeigt.
Trotzdem ließen die ersten Fragen nicht lange auf sich warten. Jamal Farani und die Regisseure, die mehrere Jahre in Kabul gelebt haben, übersetzten für die afghanischen Schauspieler, die in ihrer Muttersprache antworteten.
Als Mahtooz Nejrabi erklärt, warum er trotz aller Probleme in Afghanistan noch immer in seiner Heimat Kabul lebt, antworteten die Afghanen mit lautem Applaus. Nachdem Farani für alle anderen übersetzte und beipflichtete, man verlasse seine Heimat nicht „aus Jux und Gaudi“, schließt sich auch das restliche Publikum an.
Nach einer halben Stunde beendete Julia Winkler, die Leiterin des Abends, den offiziellen Teil und verabschiedete den immer noch vollen Kinosaal. Trotzdem stünden die Regisseure und Schauspieler für weitere Fragen bereit. Von dieser Möglichkeit machten die Gäste dann noch bis 23.30 Uhr Gebrauch. Dabei gingen die Gesprächsthemen auch weg von Film und Flucht. Gerade Julia von Wurmb-Seibel, die in Fürstenfeldbruck zur Schule ging, war viel gefragt. Auch ihr alter Mathematiklehrer und die Kindergärtnerin waren im Publikum gesessen und wollten ihr zur Regiepremiere gratulieren. Auf allen Stopps ihrer Filmtournee, meldeten sich Schulkameraden und alte Bekannte, erzählte Niklas Schenck. Er schwärmte von Abenden wie diesem, die helfen würden einen Dialog anzuregen, weg vom rein Politischen, hin zum Menschlichen. Der Film solle helfen, „ein anderes, direkteres Gespräch hinzukriegen“. Begeistert gab er sich zu der gesamten Veranstaltung, lobte aber vor allem die Idee der Caritas. Auch das Kino an sich, möge er total und die Vielzahl an Besuchern habe ihn sehr gefreut. Nur ein einziges Mal, in Hamburg, seien mehr Gäste da gewesen, als im Lichtspielhaus.
Auch Julia Winkler zeigte sich am Ende des Abends vollauf zufrieden. Der Kinosaal sei fast restlos ausverkauft und die Resonanz äußerst positiv gewesen. Derlei Filmgespräche sollen auch weiterhin fester Bestandteil des Programms bleiben, so Winkler. Immer wenn Filmemacher kommen wollten, seien sie herzlich eingeladen
welt.de
Künstler sind die wahren Krieger
„Wenn wir aufhören, werden sie gewinnen“: Der Dokumentarfilm „True Warriors“ ergründet das Grauen nach einem Terroranschlag in Kabul
LOUISA LAGÉ
Als der Wecker klingelt, ist alles anders. An diesem Morgen, dem ersten zurück in Deutschland, checkt Ronja von Wurmb-Seibel ihren Twitterfeed. Es gehört zu ihrer Morgenroutine. Auch in Hamburg bleibt sie dabei. Was sie aber heute liest, lässt ihr den Atem stocken: Ein Teenager hat sich während einer Theateraufführung im französischen Kulturzentrum in Kabul in die Luft gesprengt. Es gibt Tote, viele Verletzte.
Wie von Wurmb-Seibel lesen Tausende Deutsche jeden Morgen die Nachrichten. Sie lesen davon, dass in Afghanistan laut UN in diesem Jahr schon 1662 Zivilisten getötet wurden, fast die Hälfte von ihnen durch Selbstmordattentate. Sie lesen das und trinken nebenbei gemütlich ihren Kaffee und Köpfen ihr Frühstücksei.
Auch von Wurmb-Seibel ging das lange so. Auch wenn sie in Kabul lebte. Auch wenn es ständig in ihrer unmittelbarer Nähe Anschläge gab. Die Gefahr, sie blieb abstrakt. „Ich hatte unter all meinen Freunden immer am wenigsten Angst, weil ich am wenigsten erlebt hatte“, so die Journalistin.
Bis zum 11. Dezember 2014. Ursprünglich wollten auch von Wurmb-Seibel und ihr Mann, Co-Autor und Journalist Niklas Schenk, bei der attackierten Theatervorstellung dabei sein. Sie hatten den Regisseur ein paar Tage vorher in Kabul kennengelernt, „ein lustiger Typ“. Doch der Flieger nach Deutschland konnte nicht umgebucht werden, sie mussten passen.
Dass es dann einen Anschlag gab, schockierte sie – nicht um ihrer selbst, aber um ihrer Freunde Willen. Zum ersten Mal fühlten sie sich direkt betroffen. „Du lebst die ganze Zeit dein Leben, und dann kommt der Anschlag und verändert alles“, sagt von Wurmb-Seibel heute.
Aus dem Gefühl wurde ein Film: „True Warriors“. Es ist ein Interviewfilm. Afghanen, Deutsche, Franzosen, die beim Anschlag auf das französische Zentrum dabei waren, erzählen die Geschichte aus ihrer Perspektive. Sie sind Künstler, Organisatoren, Familienmitglieder.
Weil der Film die Menschen reden lässt, ohne Inserts, ohne Sprecher, ohne Einordnung, schafft er etwas, dass Tausende Zeitungstote nicht vermochten: Er berührt. Wenn ein 16-Jähriger vom Tod seines Bruders erzählt; wenn eine Malerin nicht mehr malen will; wenn ein Schauspieler Minuten nach dem Anschlag seinen Freund sucht, ihn anruft und nicht erreicht.
Von Wurmb-Seibel und Schenk untersuchen das Attentat unter dem Mikroskop, ohne selbst zu Wort zu kommen. Sie geben dem Anschlag nicht nur eines, sondern viele Gesichter. Die Entscheidung für viel direkte Rede und wenige, atemberaubend schöne Stadtaufnahmen ist mutig, verfehlt ihre Wirkung aber nicht.
Wer jetzt glaubt, „True Warriors“ sei ein Film über Traumata, der irrt. Vielmehr geht es ums Weitermachen. Künstler sind in Afghanistan geächtet. Sie leben gefährlich, ernten keinen Ruhm. Trotz großer Gefahr machen sie weiter. Jeden Tag. „Wenn wir aufhören, werden sie gewinnen“, verkündet die stolze afghanische Schauspielerin Leena Alam voller Entschlossenheit im Film. Denn Künstler, die seien die wahren Krieger Afghanistans, eben „true warriors“.
tagesspiegel.de
19. Januar 2018
Doku über Terror kommt nach Berlin – Wenn ein Theaterstück Realität wird
ANNA PIA MÖLLER
Die Doku „True Warriors“ zeigt, wie die Handlung eines afghanischen Theaterstücks über einen Terroranschlag sich bewahrheitet – authentisch und berührend.
Edris Fakhri hat kleine Lachfalten um die Augen und ein breites Grinsen im Gesicht. Das passt so gar nicht zu dem, was er gerade erzählt hat: Abgetrennte Körperteile, Blut, der Geruch von verbranntem Menschenfleisch. Drei Jahre ist das jetzt her. Es war der 11. Dezember 2014.
Fakhri und seine Schauspielkollegen standen in Kabul auf der Bühne und feierten Premiere, mit einem ganz besonderen Stück. Es ging um einen Terroranschlag. Doch plötzlich wurde das Stück Wirklichkeit. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich während der Vorführung in die Luft.
Diese Kombination – ein tragisches Ereignis und lebensfrohe Menschen – das ist, was Ronja von Wurmb-Seibel und Niklas Schenck beeindruckte. Die beiden Filmemacher, die selbst eine Zeit lang in Kabul lebten, wollten an dem Abend eigentlich selbst dabei sein, aber der Rückflug nach Hamburg war schon gebucht. Am ersten Morgen, zurück in Deutschland dann die Schreckensnachricht.
„Die Geschichte hat sich verändert“
„Wir haben uns bei unseren Freunden erkundigt, ob es allen gut geht“, sagt von Wurmb-Seibel. Durch diese vielen kleinen Geschichten, die jeder Einzelne zu berichten hatte, habe sie das Chaos und den Kontrollverlust besser verstehen können. In den deutschen Medien war das Ereignis eine Randmeldung wert.
Von Wurmb-Seibel und Schenck merkten schnell, dass da mehr hinter steckte. Im Mai 2015 reisten sie zurück nach Kabul, um mit den Menschen zu sprechen. Entstanden ist der berührende Dokumentarfilm „True Warriors“.
„Während der Dreharbeiten hat sich die Geschichte verändert. Es ging nicht mehr nur um Tragik, sondern viel mehr um Mut und darum, wie man an Schicksalsschlägen wächst.“ Man müsse so ein Erlebnis zu einem Teil seines Weges machen – das hat Schenck aus den Gesprächen mit den Protagonisten mitgenommen.
Als Schauspieler provozieren sie
Und das ist auch die Devise der Schauspieler. Jede Art von Kunst sei ein Werk des Teufels, heißt es in ihrer Heimat. Als Schauspieler provozieren sie. Aber das hält sie nicht davon ab, ihrer Leidenschaft weiterhin nachzugehen.
Im Moment ist Edris Fakhri mit fünf Schauspielkollegen aus Afghanistan in Deutschland und reist mit dem transnationalen Theaterprojekt „Malalai“ des Nationaltheaters Weimar durch die Bundesrepublik. Er ist überzeugt: „Frieden muss aktiv hergestellt werden. Kampf und Krieg werden in Afghanistan keinen Frieden bringen. Aber Kultur kann das schaffen.“