Deckname Luna

Deckname Luna

Buch & Regie: Ute Wieland

Ostdeutschland in den frühen 1960er Jahren: Die einfache, aber ambitionierte Rostocker Werftarbeiterin Lotte (Anna Maria Mühe) setzt alles daran, ins Kosmonautenprogramm der DDR aufgenommen zu werden. Der Keim zu ihrer Leidenschaft liegt in ihrer Familie, ist doch ihr Großvater, Prof. Arthur Noswitz (Götz George), ein versierter Raketeningenieur, der in Augsburg wirkt.

Dann kommt der Mauerbau und Lotte muss ihren Traum zunächst begraben. Sie schließt sich einer Widerstandsgruppe an, die jedoch ausgerechnet von ihrem Freund Holger (Christian Näthe) verraten wird. Unter mysteriösen Umständen kommt er kurze Zeit später ums Leben. Verdächtigt wird Lotte, weswegen sie überstürzt in den Westen flüchten muss, wo sie ihren Großvater aufsucht. Hier wird sie von dem Führungsoffizier Moll (Heino Ferch) ausfindig gemacht. Er stellt Lotte eine Rückkehr in die Heimat in Aussicht, wo sie ihrem unter Arrest stehenden Bruder helfen kann, wenn sie dafür ihren Großvater ausspioniert. Lotte ist hin und hergerissen…

DE · 2012 · Laufzeit 240 Minuten · FSK 12 · Thriller

Drehbuch: Monika Peetz, Christian Jeltsch
Drehbuchmitarbeit: Ute Wieland
Bildgestaltung: Peter Przybylski
Regie: Ute Wieland
Produktion: NFP neue film produktion
Sender: ZDF
Verleih: Studio Hamburg
Weltvertrieb: Tonpool

"[acfQuelle: ©ZDF

Kritiken

Auswahl

faz.net

IM ZDF: „DECKNAME LUNA“:Und am Ende entscheidet ein Ehrenwort

UWE EBBINGHAUS

Beste Unterhaltung trotz vier Stunden Kalten Kriegs: Anna Maria Mühe, Götz George und Heino Ferch brillieren in dem Agententhriller „Deckname Luna“

Vier Stunden lang sehen wir einer jungen Frau in diesem ZDF-Zweiteiler dabei zu, wie sie zunächst in Ostdeutschland, dann, nach einer waghalsigen Flucht, im Westen ihre Lebensideale zu verwirklichen versucht – und obwohl „Deckname Luna“ in den sechziger Jahren spielt, erkennen wir zuweilen die nackte Gegenwart mit ihrer ganzen Chancenlosigkeit für junge Menschen wieder.

Wir lernen Lotte Reinhardt (Anna Maria Mühe) als Schweißerin auf einer Rostocker Werft kennen, wo sie sich nichts sehnlicher wünscht, als eines Tages als erste Frau zum Mond zu fliegen. Sie bewundert Juri Gagarin, bewirbt sich als Kosmonautin und beansprucht gleichzeitig, in einem Staat zu leben, der ihren Idealen von Freiheit und Integrität entspricht.

Dann kommt der Mauerbau und sie opfert ihren Zukunftstraum dem Freiheitsdrang, sagt öffentlich: „Die verbauen uns doch die Zukunft“, klebt regimekritische Plakate mit der Aufschrift „Mauer nein, Sozialismus ja“, wird von der Stasi zunächst inhaftiert, dann verfolgt, flieht in den Westen, verliebt sich und findet ihren Großvater wieder, einen bekannten Raketenforscher, der seinerseits aus einem sibirischen Forschungslabor in den Westen geflohen ist. Abermals heftet sich die Stasi auf ihre Fährte und erpresst sie schließlich zur Spionage, bevor der erste Teil mit einem raffinierten Cliffhanger endet.

Kettenrauchendes Ensemble

Obwohl die Lage in „Deckname Luna“ durchweg ernst erscheint, nimmt sich der Zweiteiler zahlreiche Verspieltheiten heraus und fängt einen nach missglückter Actionszene zum Auftakt sofort mit seinem ungewöhnlichen Esprit ein. Gekonnt setzt der Film immer wieder den Split Screen ein, den geteilten Bildschirm, dem sich – besonders beeindruckend bei den zusammengefügten Einzelszenen zum Bau der Mauer – Zeitpanoramen von einleuchtender Komplexität verdanken.

Wie in „Forrest Gump“ werden in dokumentarisches Material Filmcharaktere hineinmontiert und immer wieder ändert sich die Farbe: Schwarzweißaufnahmen verwandeln sich plötzlich in kolorierte Bilder, und während Ostdeutschland zuweilen in matte Orwo-Farbfilmtöne getaucht wird, erinnern die westlichen Szenen in ihrer Kolorierung an die Darchinger-Fotos der letzten Jahrhundertmitte. Das kettenrauchende, quirlige Ensemble, welches zuweilen parodistisch das plakative Gebaren zweitklassiger Agentenfilme nachahmt, hat sich sichtlich von „Mad Men“ und „Catch me if you can“ inspirieren lassen, getragen wird es von dem musikalischen Leitmotiv aus „Fly me to the moon“.

“Deckname Luna“ führt mitten hinein in die Zeit des Kalten Krieges, es geht um den Wettlauf der Systeme, der Film lässt sich aber auch, durchaus zum Wohl des Fernsehzuschauers, als Wettlauf der Sender und Produzenten auffassen. Der Aufwand, die Intelligenz des Drehbuchs von Christian Jeltsch und Monika Peetz sowie die Liebe zum Detail suchen den Vergleich mit dem anderen großen Zweiteiler der letzten Wochen, dem „Turm“. Bis an die Zähne ist auch „Deckname Luna“ mit erstklassigen Schauspielern bewaffnet, wer hier einen Gefängniswärter gibt, den hat man andernorts schon in einer Hauptrolle gesehen.

Götz George spielt den undurchdringlichen Atomforscher Arthur Noswitz als No-Nonsense-Intellektuellen mit der Stimme des späten Marlon Brando, Heino Ferch hat man schon lange nicht mehr so gut gesehen wie in der Rolle des Stasi-Majors Julius Moll, der in seinen manipulativen Momenten auch die Dur-Tonlage virtuos beherrscht.

spiegel.de

ZDF-Epos „Deckname Luna“

Star Wars mit der Stasi

Bitte anschnallen! In dem ZDF-Zweiteiler „Deckname Luna“ will eine junge DDR-Bürgerin in den Weltraum. Ihre Odyssee begleiten: Stasi-Schergen, ein Opa, der Raketen baut, Strauß und Kennedy, Götz George, Agenten und Hitler. Klingt irre? Ja. Irre gut.

CHRISTIAN BUß

Eigentlich will sie die erste Frau sein, die beim Wettlauf in den Weltraum mitmacht. Doch statt auf dem Mond landet sie nur in Augsburg, ausgerechnet. Das erweist sich für die junge Rostockerin im Mauerbaujahr 1961 aber als eine nicht minder atemberaubende Etappe – von der ein opulentes 240-minütiges TV-Spektakel erzählt. Das ZDF sendet „Deckname Luna“ ab Montag in zwei Teilen – und katapultiert seine Zuschauer mitten zwischen die Fronten des Kalten Kriegs hinein.

„Deckname Luna“ ist ein Sturzflug in die Zeitgeschichte – am Anfang gar im Wortsinne: Die Heldin des Films, die linientreue Möchtegern-Kosmonautin Lotte Reinhardt (Anna Maria Mühe), öffnet während einer Luftfahrtschau in Rostock erst kurz vor dem Boden ihren Fallschirm. Trotz der gewagten Aktion zur Feier des Sozialismus ist die Stasi unzufrieden: Ihr Bruder (Ludwig Tepte) kritzelt in klandestinen Kirchenkreisen Flugblätter gegen den jungen Mauerstaat. Lotte soll ihn zur Räson bringen, beginnt aber selbst am vermeintlichen Arbeiter- und Bauernparadies zu zweifeln – ihr gelingt eine spektakuläre Flucht über die Ostsee in den Westen.

In Augsburg kommt Lotte bei ihrem Großvater, Professor Arthur Noswitz (Götz George) unter, einst Raketentechniker im Dritten Reich und nun wichtigster Mann in den Weltraum-Planspielen der westdeutschen Republik. Die Enkelin findet Anstellung beim Großvater, es darf also weiter vom Mond geträumt werden. Wäre da nicht die Stasi (personifiziert vom grandiosen Doppel Heino Ferch und Andreas Schmidt). Die DDR-Geheimpolizei hat Lottes Bruder verhaftet und stellt über den Eisernen Vorhang hinweg Forderungen: Entweder Lotte spioniert ihren Raketenbauer-Opa aus – oder sieht ihren Bruder nie wieder.

Zwischen Hitchcock und Defa

Spionage und Gegenspionage, komplizierte Liebesverhältnisse, noch kompliziertere Verwandtschaftsverhältnisse: „Deckname Luna“ ist ein irre fabuliertes Agenten-Melodram. Ein irre gut fabuliertes. So einen unbedingten Formwillen findet man selten im deutschen Fernsehen: Schnittige Splitscreens verquicken historische Aufnahmen mit rasanten Spielszenen, scharf konturierte, licht- und schattenreiche Tableaus stellen die gesellschaftlichen Widersprüche der Zeit dar.

In den besten Momenten wirkt „Deckname Luna“ wie eine Mischung aus einem Spionage-Thriller von Hitchcock und einem Defa-Gesellschaftsdrama. Farbe und farbentsättigte Bilder gibt es hier in verstörendem Wechsel.

Drehbuchautor Christian Jeltsch (arbeitete im Team mit Monika Peetz) versuchte zuvor mäßig erfolgreich mit dem Christoph-Maria-Herbst-Krimi „Kreutzer kommt“ alte Formen der TV-Dramaturgie aufzubrechen. Regisseurin Ute Wieland erzählte in ihrem interessanten, aber nicht wirklich funktionierenden Trümmerfrauen-Dreiteiler „Die Rebellin“ von der Stunde null, von den Hoffnungen und Möglichkeiten, die in ihr lagen. Aber auch von den Kontinuitäten. In „Deckname Luna“ wirft die Nazi-Zeit nun ebenfalls ihre Schatten auf die westdeutsche Demokratie und den neuen realen Sozialismus: Lottes Opa bastelte im Dritten Reich mit Wernher von Braun in Peenemünde auf Usedom an der V2, jetzt setzt die deutsche Rüstungsindustrie große Hoffnungen in Hitlers einstigen Wunderwaffenwissenschaftler.

In einer Szene sieht man den alten Raketen-Profi Noswitz an der Seite des jungen Franz Josef Strauß, wie er versucht, Forschungsgelder einzuwerben. Später dann sagt der Raketenforscher ein wenig traurig: „Das ist nicht wie bei Hitler, unsere Mittel sind begrenzt.“ Wer in der Demokratie aufrüsten will, muss eben auch meist: die Öffentlichkeit bearbeiten, die Werbetrommel rühren.

Was ist Dokument, was Spiel?

Die Macher von „Deckname Luna“, dieser Mixtur aus Melodram und Faktencheck, aus Geheimdienst-Terror und Sixties-Charme, gehen leichthändig mit ihrem historischen Originalmaterial um. Oft sampeln sie es in die Handlung und verwischen so die Grenzen zwischen Dokument und Dramatisierung. Aber nicht etwa in der Art und Weise, wie das in handelsüblichen Doku-Dramen der Fall ist. Statt Fakten fiktional aufzuladen, wird hier pure Fiktion genommen – aber in einem historischen Resonanzraum zum Schwingen gebracht.

Diesen Resonanzraum schmücken die Autoren Jeltsch und Peetz sowie Regisseurin Wieland detailgenau und deutungswillig aus. Neben Agenten-Action mit Mini-Kamera und Morse-Sperenzchen gehen einige Gewaltszenen ans Eingemachte. Der Stasi-Apparat agiert so brutal wie in kaum einem anderen DDR-Eventfilm im TV.

Der Westen löst in „Deckname Luna“ allerdings auch nicht seine demokratischen Versprechungen ein. Als Triebwerkentwickler Noswitz sein Team zusammenstellt, nennt er gleich alle Ausschlusskriterien. Als letzten Punkt sagt er nur: Paragraf 175. Nein, Homosexuelle haben keinen Platz in der Rakete, mit der die Bundesrepublik ins All vorstoßen soll.

Während „Deckname Luna“ so beiläufig auch Sittengeschichte erzählt, läuft der melodramatische Countdown. Am Ende weiten sich die Träume einer jungen Frau zum Drama zweier Systeme aus, die sich erbittert bekriegen, obwohl sie aus ein und demselben Land erwachsen sind. Was für Lotte, der Heimatlosen zwischen zwei Staaten, die Frage aufwirft: Warum auf den Mond fliegen, wenn wir uns schon auf der Erde so einem unerklärlichen Phänomen gegenübersehen?

tittelbach.tv

RAINER TITTELBACH

„Deckname Luna“ ist ein Film über den Kalten Krieg, über Spionage und die Eroberung des Weltraums. Aber auch ein Film über das Erwachsenwerden, das Hineinwachsen in eine von kühlem Pragmatismus geprägte Zeit, ein Film, der zugleich etwas von der Faszinationskraft der Technik und dem unbeugsamen Zukunftsglauben der 60er Jahre spiegelt. Christian Jeltsch & Monika Peetz sowie Ute Wieland setzen auf einen spannenden Genre-Mix: Einer Familien-Geschichte und einem Ost-West-Drama werden die Daumenschreiben des Spionage-Thrillers angelegt und das Ganze beeindruckend durch den Wolf des Wohlfühlfilms gedreht.